Arzneibuch

Ein Arzneibuch (frühmittelhochdeutsch arzenîbuoch, mittelhochdeutsch arzetbuoch; Lehnübersetzung von mittellateinisch liber medicinalis [„Medizinbuch“]:[1] Bezeichnet wurden mit dieser Form der Gebrauchsliteratur praxisbezogene „heilkundliche Kompendien umfassender Indikation, zusammengesetzt aus Rezepten bzw. Kurztraktaten“),[2][3] auch als Pharmakopöe[4] (wie lateinisch gleichbedeutend Pharmacopoea aus griechisch pharmakopoieĩn ‚Arzneien zubereiten‘[5]), im 16. Jahrhundert auch Dispensatorium, bezeichnet, ist eine Sammlung anerkannter oder ehemals anerkannter pharmazeutischer Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von Arzneimitteln und die bei ihrer Herstellung und Prüfung verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden.

Pharmaziegeschichtlich unterscheidet man:[6]

  • Amtliche Arzneibücher bzw. moderne Pharmakopöen als für den Apothekenbetrieb und die industrielle Arzneimittelfertigung geltende Standardwerke bzw. Vorschriftenbücher. Sie beruhen auf einem gesetzgeberischen Akt und sind verbindlich gültig.
  • Rezeptarien (auch Rezeptbücher): Die beschriebenen Regeln beruhen auf Übereinkunft zwischen Heilberufsgruppen.[7] Dazu gehören auch Arzneibücher zu Tierarzneimitteln (Tierarzneibücher). Als von anerkannten Methoden auch unabhängig bestehend können davon sogenannte Volksarzneibücher[8] unterschieden werden. Zudem kann bei den meist für den praktischen Gebrauch bestimmten Schriften[9] unterschieden werden zwischen Vollrezept-Sammlungen (Antidotarien) und Kurzrezept-Sammlungen (Rezeptarien).[10]

Diese Unterscheidung ist unabhängig vom tatsächlichen Titel eines Arzneibuches.[6]

Laienmedizinische „Arzneibüchern“ (mit Hausarzneien[11]) finden sich etwa in der Hausväterliteratur (als Hausarzneibuch[12]).

  1. Vgl. auch Willem Frans Daems (Hrsg.): Een Medecijnboeck, Inholdende van voele diversche Remedien, die den menschen Inwendich und uuijtwendich omvangen, voertz om kostelicke salven und gedrenken toe maecken, seer nutz unnd noedich. [16. Jahrhundert]. Haarlem 1942 (= Beilage zu Pharmaceutisch weekblad, hrsg. von Willem Frans Daems).
  2. Ortrun Riha: Wissensorganisation in medizinischen Sammelhandschriften. Klassifikationskriterien und Kombinationsprinzipien bei Texten ohne Werkcharakter. (Habilitationsschrift Würzburg 1990) Reichert, Wiesbaden 1992 (= Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt. Band 9). ISBN 3-88226-537-X, S. 7–18.
  3. Thomas Richter (2005), S. 1149 (zitiert).
  4. Karl Heinz Bartels: Die Würzburger „Pharmakopöen“. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 25, 2006, S. 75–112; hier: S. 75–78 und 106 f.
  5. Pharmakopöe. Duden; abgerufen 17. Juni 2015.
  6. a b Wolfgang Schneider: Wörterbuch der Pharmazie. Band 4: Geschichte der Pharmazie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1985.
  7. zu historischen „Arzneibüchern“ und Rezeptarien vgl. beispielsweise Gerhard Eis, Wolfram Schmitt (Hrsg.): Das Asanger Aderlaß- und Rezeptbüchlein (1516–1531). Stuttgart 1967 (= Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Neue Folge, Band 31); C[arl] Külz, E. Külz-Trosse, Jos. Klapper (Hrsg.): Das Breslauer Arzneibuch. R[hedigeranus] 291 der Stadtbibliothek, Teil I: Text. Dresden 1908 (Codex heute in der Universitätsbibliothek Breslau) – Digitalisat; Hartmut Broszinski, Gundolf Keil: Kasseler Arzneibuch. In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 4, Sp. 1048–1050 (zwischen 1390 und 1425 angelegte Sammelhandschrift); Christian Tenner, Gundolf Keil (Hrsg.): Das ‚Darmstädter Arzneibuch‘. Randnotizen zu einer oberrheinischen Sammelhandschrift der Zeitenwende. In: Bibliothek und Wissenschaft. Band 18, 1984, S. 85–234 (zu Darmstadt, Landesbibliothek, Hs. 2002, Bl. 1–72, 2 Rezeptare); Agi Lindgren (Hrsg.): Das Utrechter Arzneibuch (Ms. 1355, 16°, Bibliotheek der Rijsuniversiteit Utrecht). Stockholm 1977 (= Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholmer germanistische Forschungen. Band 21); Helny Alstermark (Hrsg.): Das Arzneibuch des Johan van Segen. Stockholm 1977 (= Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholmer germanistische Forschungen. Band 22); Agi Lindgren (Hrsg.): Ein Stockholmer mittelniederdeutsches Arzneibuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. (Philosophische Dissertation Stockholm) Almquvist & Wiksell, Stockholm/Göteborg/Upsala 1967 (= Acta universitatis Stockholmiensis. Stockholmer germanistische Forschungen. Band 5), mit Gundolf Keil: Randnotizen zum „Stockholmer Arzneibuch“. In: Studia neophilologica. A Journal of Germanic and Romance Philology. Band 44, Nr. 2, 1972, S. 238–262.; und Ernst Windler (Hrsg.): Das Bremer mittelniederdeutsche Arzneibuch des Arnoldus Doneldey. Mit Einleitung und Glossar, Neumünster 1932 (= Niederdeutsche Denkmäler. Band 7), vgl. auch vorbereitend Franz Willeke: Das Arzneibuch des Arnoldus Doneldey. (Philosophische Dissertation) Münster 1912 (= Forschungen und Funde. III, 5); sowie Günther Jaeschke: Anna von Diesbachs Berner ‚Arzneibüchlein‘ in der Erlacher Fassung Daniel von Werdts (1658). Teil I: Text, Würzburg 1978 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 16), und Thomas Gleinser: Anna von Diesbachs Berner ‚Arzneibüchlein‘ in der Erlacher Fassung Daniel von Werdts (1658), Teil II: Glossar. (Medizinische Dissertation Würzburg), jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg 1989 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 46); oder Hermann Fischer: Mittelhochdeutsche Rezeptare aus bayerischen Klöstern und ihre Heilpflanzen. In: Mitteilungen der Bayerischen botanischen Gesellschaft zur Erforschung der heimischen Flora. Band IV, 6, 1926, S. 69–75, auch in: Medizin im mittelalterlichen Abendland. Hrsg. von Gerhard Baader und Gundolf Keil, Darmstadt 1982 (= Wege der Forschung. Band 363), S. 83–94.; sowie Hans Michael Wellmer: Das ‘Würzburger chirurgische Rezeptar’. Untersuchungen zu einer wundärztlichen Formelsammlung des späten 15. Jahrhunderts mit Textausgabe. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 1, 2005 (2007), S. 35–103.
  8. Eberhard Wolff: Volksmedizin, Volksarzneibücher. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1454–1458, hier: S. 1457 („Volksarzneibücher“).
  9. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 17.
  10. Gundolf Keil: Einleitung. In: Gundolf Keil (Hrsg.): Das Lorscher Arzneibuch. (Handschrift Msc. Med. 1 der Staatsbibliothek Bamberg); Band 2: Übersetzung von Ulrich Stoll und Gundolf Keil unter Mitwirkung von Altabt Albert Ohlmeyer. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1989, S. 13, Anm. 47.
  11. Vgl. Joachim Telle (Hrsg.): Pharmazie und der gemeine Mann. Hausarznei und Apotheke in deutschen Schriften der frühen Neuzeit (Ausstellung der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel in der Halle des Zeughauses vom 23. August 1982 bis März 1983). Wolfenbüttel 1982 (= Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek. Band 36).
  12. Vgl. Birgit Zimmermann: Das Hausarzneibuch. Ein Beitrag zur Untersuchung laienmedizinischer Fachliteratur des 16. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung ihres humanmedizinisch-pharmazeutischen Inhalts. Naturwissenschaftliche Dissertation Marburg 1975.

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